Was war? – Was wird?

(aus: momentema 02/2009)

Jahrzehnte lang schwankten die Deutschen zwischen einem teilweise enthusiastischen Bekenntnis zur Deutsch-Amerikanischen-Freundschaft oder einer strikt ablehnenden Haltung oder einem kulturellen Überlegenheitsgefühl, die sich in der Parole „Ami go home“ widerspiegelten. Nun da die Amerikaner seit etwa einem Jahr wirklich nach Hause gegangen sind – und damit wohl auch endgültig die Hanauer Region verlassen haben – ist es an der Zeit für eine Nachbetrachtung. Was ist von ihrer Präsenz geblieben, was haben sie hinterlassen? Was könnten die künftigen Perspektiven für die von ihnen geräumten Bereiche sein, die nun nach einer neuen Nutzung verlangen?

 

momentema - Die Amerikaner sind weg

 

Kalt lässt dieser Abschnitt der jüngeren Geschichte beinahe niemanden, was auch der Erfolg der großen Amerikaner-Ausstellung (mit ihrem umfangreichen Begleitprogramm), die im Winter im Historischen Museum Hanau gezeigt wurde, belegt. Bei vielen Zeitzeugen regen sich, ob dieses Abschiedes, schon nostalgische Gefühle.

Dass das Thema weiterhin von großem Interesse ist, beweist auch die hohe Resonanz für eine dreistündige Tour, die im März diesen Jahres – mit ca. 800 Besuchern – im Bereich der ehemaligen Kasernengelände von Wolfgang durchgeführt wurde. Hier konnten die Teilnehmer die nun leerstehenden Häuser und Wohnungen, die Grundschule und das Naturschutzgebiet „Campo Pond“ – wo demnächst vielleicht die urtümlichen Przwalski-Pferde weiden werden – in Augenschein nehmen und dabei den Ausführungen von US-Armee-Vertretern und städtischen Ansprechpartnern lauschen. Wegen des großen Andrangs wird die Besichtigung des Geländes von der Stadt Hanau, am 19. September, noch einmal wiederholt.

Über 60 Jahre gehörten die GIs zum Stadtbild Hanaus, wie auch anderer hessischer Städte. Zeitweise lebten rund 30.000 Amerikaner in den Kasernengeländen und Housing-Areas. Damit zählte die Stadt zu den größten US-Stützpunkten in Europa. Mitte 2008 wurden die letzten noch verbliebenen 2.000 Soldaten abgezogen und der Standort Hanau aufgelöst. Schon 2007 waren auch in Mittelhessen die Truppenfahnen eingeholt worden. Mit dem Abzug aus Friedberg/Bad-Nauheim und Gießen endete auch dort ein Stück Nachkriegsgeschichte.

In den sechs Jahrzehnten seit dem Kriegsende hatten sich vielerlei Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern entwickelt. Wurden die US-Soldaten erst als Besatzer oder Befreier – mit „Coke and Candy“, Blue Jeans und Care-Paketen – gesehen, die den militärischen Sieg über die Nazi-Diktatur sicherstellen und demokratische Strukturen herbeiführen sollten, wurden sie nach und nach ein wichtiger Faktor für das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den Städten.

Die im „Fraternisierungsverbot“ der ersten Nachkriegszeit vorgeschriebene Distanz zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern, wurde dabei recht schnell aufgegeben. Amerikaner organisierten schon bald erste Freundschaftsfeste und gründeten entsprechende Clubs. Bald kam es auch zu Hochzeiten zwischen GIs und deutschen „Fräuleins“. Durch den starken Dollar, dessen Tauschwert zur D-Mark zeitweise 4:1 betrug, wurden die amerikanischen Soldaten zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die lokalen Einrichtungen. Große Kaufhäuser und kleinere Läden profitierten von den zahlungskräftigen Kunden. Der jeweils aktuell gültige Dollarkurs war oft direkt an den Kassen der Einkaufszentren angegeben; die US-Währung war als Zahlungsmittel akzeptiert. Darüber hinaus waren zahlreiche Einwohner als Arbeitskräfte in den amerikanischen Kasernen beschäftigt.

Teilweise waren die Amerikaner – insbesondere Offiziere – auch gern gesehene Mieter. Zumindest dann, wenn die Immobilien nicht von den Besatzungstruppen längerfristig, teilweise über viele Jahre hinweg, beschlagnahmt wurden. Dann konnte es, in Zeiten großen Wohnungsmangels, zu Problemen kommen, wie es sich im sogenannten „Hanauer Wohnungskrieg“ zeigte Und manchmal  erwiesen sich die Wohnungen oder Häuser nach der Räumung durch die US-Militärangehörigen, ohne aufwendige Renovierung, kaum noch als bewohnbar. Die zeitweise sehr aufgeheizte Situation begann sich nur langsam zu entspannen, als die Militärs damit begannen, eigene „Housing Areas“ zu errichten.

In den 50er und 60er Jahren übten die stationierten amerikanischen Wehrpflichtigen einen nachhaltigen Einfluss auf die westdeutsche Jugend aus – wohl nicht immer zur reinen Freude der Elterngeneration. Dies führte dazu, dass sich beispielsweise in Hanau, eine lebendige Kulturlandschaft entwickelte u. die Stadt zu einer Hochburg zunächst der Jazz- und Swing- und später vor allem der Rock‘n‘Roll-Szene wurde. In der Synopsis zum Dokumentarfilm „HANAU A GO-GO“ (von Daniel Siebert) heißt es hierzu, dass „unzählige Musiker, Künstler, Intellektuelle und Querdenker“ es waren, „die der aufbegehrenden Hanauer Jugend wichtige Impulse für eine ‚kulturelle Demokratisierung‘ gaben und deren zügelloser Freizeithunger und starker Dollar in Hanau unzählige Musik-Bars wie Pilze aus dem Boden sprießen ließ“. Die Stadt an Main und Kinzig stand bald bundesweit im „sündigen Ruf eines ‚hessischen St. Pauli‘“ und habe in Bezug auf ihr Nachtleben das nahegelegene Frankfurt locker in den Schatten gestellt.

In den Bars der Hanauer Krämerstraße („Klein St. Pauli“) oder der Lamboystraße („Chicago-Nord“) traten, was heute kaum noch nachvollziehbar erscheint, Weltstars wie Bill Haley und The Monks auf. Nur „The King“ Elvis, der in den Ray Barracks in der Nachbarstadt Friedberg stationiert war, hat leider selbst nie in Hanau gespielt, wenn seine Songs natürlich auch in der Hanauer Szene allgegenwärtig waren.

Dieses Umfeld bildete auch den Nährboden für eine reichhaltige Musikszene mit Hanauer „Eigengewächsen“, deren „Veteranen“ auch heute bei unzähligen Veranstaltungen immer noch aktiv sind. Kaum noch bekannt sind die Konflikte dieser Szene mit der Obrigkeit. Der legendäre Hanauer Polizeidirektor der wilden 50er Jahre, Lutz Hohbein, der selbst beste Kontakte zum amerikanischen Militär pflegte, hatte die Clubs einst alle auf einmal schließen lassen. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre sollte der brave Bürger, auf Betreiben der Verwaltung, dann schnellstmöglich seine Ruhe bekommen. Als schließlich die amerikanische Wehrpflicht abgeschafft wurde, verschwand, zusammen mit den wehrpflichtigen Soldaten, auch die subkulturelle Vielfalt aus Hanau. Die amerikanische Populärkultur war dennoch – mit all ihren Aspekten – bereits tief in der deutschen Gesellschaft verankert.

Einheimische Volksfeste, wie beispielsweise das Hanauer Lamboyfest, damals noch im „echten Lambewald“, erhielten zwischenzeitlich stark amerikanische Elemente wie Rodeo-Reiten oder American Icecream. Manche Hessen hätten die Amerikaner sicher auch gerne auf den Mond geschossen. Das haben diese, gegen Ende der 60er Jahre, dann aber selbst erledigt. Viele Bürger bejubelten und bestaunten, kurz nach der tatsächlichen Mondlandung – sofern es sich bei dieser nicht doch um eine Fälschung handelt, wie es verschiedene Verschwörungstheoretiker immer wieder behaupten –, die Apollo 10-Mondkapsel, die kurioserweise auf ihrer Reise um die Welt den Weg ans Brüder Grimm-Denkmal auf dem Hanauer Marktplatz gefunden hat.

Mit dem Vietnamkrieg setzte dann aber eine Wandlung in den Beziehungen ein. In Teilen der westdeutschen Bevölkerung kam es zu heftigen Protesten gegen diesen Krieg. Bis zum endgültigen Abzug der Truppen, nach Beendigung des Kalten Krieges, blieb das Verhältnis mehr oder weniger getrübt. Begeisterungsstürme, wie zu den Zeiten als die Massen US-Präsident John F. Kennedy auf dem Fliegerhorst in Langendiebach, der vielleicht in naher Zukunft ein Mega-Freizeitpark werden soll, bejubelten, kamen nun nicht mehr vor.

(hgr)

Fotos Holger Greiner + Daniel Siebert
(mit freundlicher Genehmigung)



HANAU A GO-GO Wie der Rock‘n‘Roll in eine
hessische Garnisonsstadt kam.


Die Doku über die wilden 50er und 60er Jahre in Hanau
hat schnell echten Kultstatus erreicht und ist mittlerweile
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