Bürgerversammlung zum Wettbewerblichen Dialog

Hanau, 18.05.2010. - Äußerst gut besucht war die Bürgerversammlung zum Wettbewerblichen Dialog (WeDi) zu der Stadtverordnetenvorsteher Jürgen Scheuermann am Montag, dem 17. Mai in den Hanauer Congress Park eingeladen hatte. Kurz nach 19:00 Uhr war selbst der Balkon im Paul Hindemith-Saal bis fast zum letzten Platz besetzt. Zahlreiche Hanauerinnen und Hanauer nutzten die Gelegenheit, sich über den aktuellen Stand des Stadtentwicklungsprozesses zu informieren.

 

     
Bürgerversammlung zum Wettbewerblichen Dialog   Vollbesetzter Paul-Hindemith-Saal
Bürgerversammlung zum Wettbewerblichen Dialog   Vollbesetzter Paul-Hindemith-Saal

Etwa zwei Jahre, nachdem die Brüder-Grimm-Stadt begonnen hat, im Rahmen dieses Vergabeverfahrens einen Investor zu finden, mit dem die Neugestaltung der Innenstadt verwirklicht werden kann, steht nun der Abschluss dieses Prozesses unmittelbar bevor. Die möglichen Verträge sind bis zum Ende ausverhandelt und sollen nun anhand der vorgegebenen städtebaulichen, rechtlichen und ökonomischen Kriterien miteinander verglichen werden. Am 25. Mai wird die Stadtregierung den Investor bestimmen. Am 31. Mai liegt dann die endgültige Entscheidung bei der Stadtverordnetenversammlung, die darüber abstimmen muss, ob sie der Empfehlung des Magistrats mehrheitlich folgen will.

 

Das Podium war an diesem Abend mit Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD), dem zuständigen Projektverantwortlichen Martin Bieberle (Leiter des Fachbereichs Stadtentwicklung und Bürgerservice), sowie den Angehörigen des hauptamtlichen Magistrats Dr. Ralf-Rainer Piesold (FDP) und Axel Weiss-Thiel (SPD), prominent besetzt. Als juristischer Experte ergänzte Rechtsanwalt Otting, der die Stadt in den Verhandlungen mit den Investoren unterstützt, die Runde. Moderiert wurde die Versammlung vom Stadtverordnetenvorsteher.

 

     
Podium   Stadtverordnetenvorsteher Scheuermann
Podium   Stadtverordnetenvorsteher Scheuermann

Zur Einleitung nutzte der Oberbürgermeister noch einmal die Gelegenheit, die Notwendigkeit des wettbewerblichen Dialogs für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung hervorzuheben. Dieser Prozess sei, so Claus Kaminsky, eine einzigartige Chance für die Stadt. Hier würde durch das Engagement der Investoren, die die Perspektiven des Oberzentrums am Ostrand der Rhein-Main-Region positiv bewerteten, eine Entwicklung möglich, die die Stadt von alleine nie hätte anstoßen können. Der kombinierte Einsatz der finanziellen Mittel von Investor und Kommune werde zu einer überaus positiven Veränderung beitragen. Selbstkritisch wertete der Oberbürgermeister die bisherigen Anstrengungen der Stadtpolitik, die mit verschiedenen einzelnen Maßnahmen der Erneuerung, wie etwa der Umgestaltung bestimmter Straßenzüge, nie die Dynamik hätten entfalten können, wie es nun im Rahmen dieses Stadtentwicklungsprozesses möglich sei. Noch während des Vortrags von Claus Kaminsky erstürmten einige WeDi-Kritiker vom Hanauer Sozialforum mit einem Transparent, das die bekannte Forderung der Initiative "Freiräume statt Investorenträume" zum Ausdruck brachte, die Bühne hinter dem Podium, um dort die zweieinhalb Stunden bis zum Ende der Veranstaltung auszuharren.

 

Nach der Präsentation des Projektverantwortlichen Bieberle, der noch einmal die einzelnen Phasen des Dialogprozesses beleuchtete und den geplanten Verlauf für die kommenden Tage bis hin zum vorgesehenen Baubeginn am Marktplatz im Frühjahr 2011 skizzierte, begann der Frage- und Diskussionsteil des Abends. In der teilweise sehr kontroversen Aussprache sahen sich die städtischen Verantwortlichen vielfältiger Kritik ausgesetzt. Verschiedene soziale, wirtschaftliche und ökologische Gesichtspunkte wurden in durchaus polarisierter Diskussionsatmosphäre angesprochen. Begleitet wurde der Austausch der verschiedenen Argumente zeitweise von frenetischem Beifall oder aber von heftigen Missfallensbekundungen der verschiedenen Seiten.

 

     
Erstürmung der Bühne   Ansprache OB Kaminsky
Erstürmung der Bühne   Ansprache OB Kaminsky


Kritische Fragen wurden vor allem von den Vertretern und Vertreterinnen des Hanauer Sozialforums aufgeworfen. Kritisiert wurde der "Ausverkauf der Innenstadt" an Investoren. Öffentlicher Raum, wie der Freiheitsplatz, werde ohne Not an einen Privatbesitzer ausgeliefert. Die Stadt beschreite auch – angesichts der Krisen im Finanzsektor und der aktuellen Haushaltslage mit entsprechendem Schuldenstand – einen sehr riskanten Weg. Für den kommunalen Partner würden sich bei ähnlich gelagerten Projekten die anfänglich prognostizierten Kosten fast immer sehr stark erhöhen. Das Sozialforum trete für eine Stadt ein, in der alle Menschen, unabhängig von Status und Einkommen, leben könnten.

 

Der Oberbürgermeister konterte damit, dass sich durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und zusätzliche Steuereinnahmen auch die finanzielle Situation Hanaus langfristig verbessern könne, so dass man erst dadurch in die Lage versetzt werde, sich soziale Projekte künftig überhaupt noch leisten zu können. Das öffentliche finanzielle Engagement in der Höhe von ca. 20 Millionen Euro bleibe überschaubar und sei durch den "realen Gegenwert", den die Stadt erhielte – Bibliothek, Brüder-Grimm-Kulturzentrum, Kinocenter sowie neugestaltete Straßenzüge und Platzstrukturen – durchaus gerechtfertigt. Die in der Presse genannten Zahlen über jährliche Folgekosten von 6,4 Millionen Euro seien, so Kaminsky, "falsch". In einem "worst case-Szenario" sei vielleicht eine dauerhafte Belastung von bis zu 4,5 Millionen Euro im Jahr möglich. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Formulierung des Oberbürgermeisters, er verstehe nicht, dass sich eine Initiative, "die sich Sozialforum nenne", gegen die Errichtung einer allgemein kostenfrei zugänglichen Bildungsstätte wie einer Bibliothek am zentralen Platz der Brüder-Grimm-Stadt wende, führte zu erbosten Protesten der so Angegriffenen.

 

     
Präsentation Bieberle   Schlangen an den  Saalmikrophonen
Präsentation Bieberle   Schlangen an den Saalmikrophonen

 

Großer Dissens zeigte sich auch bei der Beurteilung des gewählten Verfahrenswegs zwischen den städtischen Verantwortlichen und ihren Kritikern. So lobten die einen die Transparenz des Wettbewerblichen Dialogs mit entsprechenden öffentlichen Diskussionen und der intensiven Begleitung durch die Medien und die Entscheidung durch die gewählten Volksvertreter im Rahmen der repräsentativen Demokratie. Währenddessen monierten die Gegner, dass die demokratische Bürgerbeteiligung in dem gewählten Verfahren – gerade angesichts der langfristigen Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Stadt – fast vollständig ausgehebelt worden sei. Einige Präsentationen ohne wirkliche Diskussionsmöglichkeit und die Berufung eines handverlesenen Beirats, dessen Angehörige zu Verschwiegenheit verpflichtet gewesen seien, könnten einen offenen und öffentlichen Bürgerbeteiligungsprozess mit wirklichem Dialog keinesfalls ersetzen.

 

Auch Bürger, die sich prinzipiell für die Umsetzung der Ergebnisse des Wettbewerblichen Dialogs aussprachen, wiesen auf zahlreiche bestehende Risiken und Unwägbarkeiten hin. Ungeklärt sei beispielsweise die Situation auf der Westseite des Freiheitsplatzes mit dem leerstehenden Karstadtgebäude. Teilweise wurde von den Diskussionsteilnehmern an den Saal-Mikrophonen eine behutsamere kleinteilige Stadtentwicklung gefordert. Andererseits wurde aber auch kritisiert, dass die propagierte "Stadtentwicklung aus einem Guss" gar nicht stattfinde, da viele ursprünglich vorgesehene Punkte nicht mehr im WeDi bearbeitet würden, bzw. von der Stadt selbst übernommen werden müssten. So sei beispielsweise die geplante Umgestaltung des Marktplatzes nur noch Stückwerk. Auch die Möglichkeit der erzwungenen Kostenbeteiligung von Anliegern durch die städtische Straßenbeitragssatzung wurde heftig kritisiert. Hier würden die finanziellen Belastungen, die sich durch schlechtes städtisches Wirtschaften ergeben, auf die Haus- und Grundbesitzer abgewälzt.

 

     
Vertreter des Sozialforums   Entgegnung des Oberbürgermeisters
Ein Vertreter des Sozialforums am Saalmikrophon   Entgegnung des Oberbürgermeisters

Die Verantwortlichen der Brüder-Grimm-Stadt betonten, angeführt von Oberbürgermeister Kaminsky, dass derzeit eine Situation erreicht sei, in der jede der vorgeschlagenen Veränderungsmöglichkeiten für die Stadt besser sei, als ein Verharren beim überkommenen Zustand. Ein sich dynamisch weiterentwickelndes Oberzentrum werde so für neue Bewohnerinnen und Bewohner aber auch für Einkäufer aus dem Umland attraktiver als eine stagnierende Stadt. Positiv seien auch die umwelt- und verkehrspolitischen Aspekte. So werde die Innenstadt entlang der Achse vom Schlossplatz bis zur Niederländisch-Wallonischen Kirche fast komplett autofrei. Zudem werde der derzeitige Parkplatz an der Französischen Allee vollständig begrünt.

 

Auch Parteien-Vertreter beteiligten sich an der Diskussion. Elmar Diez von den Grünen appellierte erneut an die Investoren, den wertvollen Baumbestand auf der West- und Ostseite des Freiheitsplatzes unbedingt zu erhalten. Eine Tiefgarage würde bei der geplanten Begrünung des Platzes nur Bäume in "Bonsai-Qualität" zulassen. Der CDU-Fraktionschef Hog begrüßte die Anstrengungen der städtischen Verantwortlichen für ein schönes Hanau und wünschte, dass sich die Kritiker, nach erfolgreichem Abschluss, "in eine Ecke verzögen".

Verschiedene konkrete Auswirkungen der bevorstehenden Umsetzung des Stadtumbaus erscheinen aber derzeit leider noch zu Ende durchdacht. Bekanntgewordene Überlegungen führten zu ersten Irritationen bei den möglichen Betroffenen. Entsetzt zeigten sich beispielsweise einige Anwohner der Eugen-Kaiser-Straße, angesichts der Tatsache, dass ihr Wohngebiet nun als Ausweich-Standort für den Busbahnhof während der Dauer der Bauphase am Freiheitsplatz ins Gespräch gekommen sei. Ein am Freiheitsplatz ansässiger Geschäftsmann brachte seine Überraschung und sein Erstaunen zum Ausdruck, dass der Standort seines Ladenlokals Gegenstand der Planungen geworden wäre.

 

     
BV-WeDi17052010-08_300   Stadtrat Weiss-Thiel
Sprecherin des Mieterrats   Erwiderung Stadtrat Weiss-Thiel

 

Hoch her ging es abschließend noch einmal, als die Sprecherin des Mieterrats der Französischen Allee, Jutta Cerniglia die "Vertreibungspolitik" und die früheren "Versäumnisse der Baugesellschaft" kritisierte. Nach Jahren der Vertröstungen, seien notwendige Sanierungen immer wieder unterblieben. Die von den Bewohnerinnen und Bewohnern oft in Eigenleistung renovierten Wohnungen seien aber in gutem Zustand. Alle Entscheidungsträger seien zu einer Besichtigung vor Ort herzlich eingeladen. Erforderlich sei eine Sanierung, die es den bisherigen Bewohnern ermögliche, bei moderaten Mieten, in ihren Wohnungen zu verbleiben. Die Nicht-Sanierbarkeit der Wohnungen werde vom Mieterrat bestritten. Die betroffenen Mieterinnen und Mieter würden im kommenden Jahr "nicht weichen". Stadtrat Weiss-Thiel schloss im Gegenzug, eine technisch notwendige Sanierung bei gleichzeitig bezahlbaren Mieten nochmals nachdrücklich aus.


Nach der offiziellen Beendigung der Veranstaltung versammelten sich zahlreiche Teilnehmer noch im Foyer des CPH, um die Diskussion über die verschiedenen Aspekte des Entwicklungsprozesses und den Verlauf der Bürgerversammlung in privaten Gesprächen zu vertiefen. Wenige Menschen blieben angesichts der bevorstehenden gravierenden Veränderungen unberührt. Der Stadt Hanau und ihren Einwohnerinnen und Einwohnern stehen – unabhängig von den in der nächsten Zukunft getroffenen Entscheidungen – in den kommenden Jahren interessante Zeiten bevor.

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